Beispiele frühkindlicher Reflexe - Saskias Praxis

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Tonische Labyrinthreflex

Der Tonische Labyrinthreflex (TLR) hat einen tonisierenden, also Spannung aufbauenden Einfluss auf die Muskelspannung im ganzen Körper. Er hilft dem Neugeborenen sich aus der gebeugten fötalen Beugehaltung grade zu strecken. Eine Bewegung des Kopfes nach vorne oder nach hinten stimuliert das Gleichgewicht über das Labyrinth im Ohr und aktiviert den Reflex. Er kann sowohl vorwärts als auch rückwärts ausgelöst werden.

Wird der Kopf über die Mittelinie nach vorne geneigt, nimmt der ganze Körper eine nach vorn gebeugte Haltung ein (TLR vorwärts).

 
 

Abb.:  Der Tonische Labyrinthreflex vorwärts (Goddard 1998, 37)

Beim TLR rückwärts löst die Bewegung des Kopfes nach hinten, über die Körpermitte hinaus, eine Steckung der Wirbelsäule, der Arme und Beine aus. Im Prozess der Geburt, wenn der Kopf des Babys in den Geburtskanal eintritt und dabei das erste Mal nach hinten verlagert wird, beginnt sich der rückwärts  auslösbare TLR zu entfalten.

 
 

Abb.: Der tonische Labyrinthreflex rückwärts (Goddard 1998, 37)

Es wird angenommen, dass die frühste Form des Tonischen Labyrinthreflexes die vorwärts geneigte Position des Fötus im Mutterleib darstellt. Während die Hemmung des TLR nach vorne etwa mit dem vierten Lebensmonat vollzogen ist, tritt die Hemmung des TLR rückwärts erst nach und nach ein, da in dieser Entwicklung auch die Entstehung einiger Halte – und Stellreflexe eingebunden ist.

Der TLR ist die erste Möglichkeit für den Säugling dem Problem der Schwerkraft zu begegnen. Jede Bewegung des Kopfes über die Mittellinie des Körpers hinaus, führt zu einer extremen Streckung oder Beugung des gesamten Körpers. Dies trainiert die Muskulatur, führt innerhalb der ersten sechs Lebensmonate zur kontrollierten Haltung des Kopfes und beeinflusst den Muskeltonus im ganzen Körper vom Kopf abwärts. Wenn das Baby ungefähr ein halbes Jahr alt ist, sollte sich mit der Kontrolle über den Kopf auch die Kontrolle über die Augen ausbilden.

Bleibt der Tonische Labyrinthreflex in der Übergangszeit des Babys zum Kleinkind bestehen, beeinträchtigt er die vollständige Entwicklung der Kopfstellreflexe und wirkt sich störend auf die Gleichgewichtsentwicklung im Zusammenspiel mit anderen  Sinnessystemen (z.B. Funktion der Augenmuskeln) und den Umgang mit der Schwerkraft aus.
So können sich die Augen - und Labyrinthstellreflexe, die sogenannte Kopfstellreflexe, nicht vollständig entwickeln. Diese haben jedoch die Aufgabe, den Kopf in der aufrechten Position zu halten, gleich wie die Körperhaltung ist. Dies ist z.B. grundlegend für die Orientierung des eigenen Körpers im Raum.
Die Grundlagen des Sehens, Fühlens und der Bewegung sind die Quellen, aus denen das Kind seinen Sinn für die Balance, den Raum und die Tiefe gewinnen kann. Werden sie fehlerhaft wahrgenommen und verarbeitet, kann sich nur schwer ein korrektes Bild der eigenen Körperwahrnehmung, der Dinge im Raum oder auch der Zahlenräume entwickeln.

Der TLR spielt generell eine führende Rolle im Zusammenspiel der verschiedenen Sinneswahrnehmugen und hat einen direkten Einfluss auf das Gleichgewicht. Funktioniert jedoch das Gleichgewicht fehlerhaft, können z.B. Probleme mit der Richtung und der Orientierung im Raum auftreten:
als Folge können Probleme mit Links-Rechts/-Orientierung, Zahlen- und Buchstabendreher, Orientierung in den Zahlenräumen, auf der Buch-/ Heftseite bis hin zur Dyskalkulie auftreten.

Ein Mensch, egal ob jung oder alt, kann keine natürliche Muskelspannung entwickeln, wenn der TLR im Körper weiter seine Restreflexinformationen aussendet.
Entweder entwickeln wir dann einen zu schlaffen Muskeltonus oder sind z.T. sogar so angespannt, dass wir auf Zehenspitzen gehen. Für beide Entwicklungen ist der TLR ursächlich.

Bei dem Versuch, sich mit diesem Reflex einzurichten (Kompensation), muss das Kind seine Haltung und seinen Bewegungsablauf entgegen des bestehenden Reflexes immer wieder korrigieren:
beispielweise führt eine Bewegung des Kopfes nach vorne dazu , dass die Knie sich beugen. Dem muss das Kind mit entsprechendem Willens- und Kraftaufwand entgegenwirken, um aufrecht gehen zu können (den ganzen Tag). Das führt zu einer viel schnelleren Ermüdung.


Oftmals kann man bei diesen Kindern beobachten, dass sie einen sehr schlaffen (hypoton) Muskeltonus haben oder dass ihre Bewegungen beim Rennen und Springen ruckartig und steif sind. Der Grund liegt in der schlechten Balance. Das Gefühl des Fallens, welches durch den bestehenden Beugetonus in den Beinen hervorgerufen wird, irritiert das vestibuläre System und sorgt für eine unreife Balance im Körper.
Kinder, die eine zu starke (hyperton) Muskulatur haben, sind in einer ständigen Anspannung gefangen. Um sich zu entspannen und konzentrieren zu können, neigen viele von ihnen dazu, ständig in Bewegung zu sein. Dadurch stimulieren sie ihr Gleichgewicht, was die Konzentrationfähigkeit fördert und suchen gleichzeitig Entspannung. Nach außen haben wir ein unruhiges, zappeliges Kind, dem wir häufig zu unrecht unterstellen, dass es nichts von seiner Umgebung mitbekommt.


Das Gleichgewichtssystem kontrolliert den Austausch aller Sinneswahrnehmungen zwischen Gehirn und Köper in beiden Richtungen. Da es durch Restreflexreaktionen des TLR ständig irritiert wird, funktioniert es selbst fehlerhaft. Dadurch werden unsere Sinneswahrnemung fehlerhaft verarbeitet und das Gehirn muss die Reflexinformationen ständig korriegieren. Das alles geht auf Kosten der Konzentrationsfähigkeit, der Ausdauer, des Arbeitstempos und des Lernvermögens.
Welche Leistungen, Talente und Vorlieben ein Mensch ohne diese Restreflexreaktionen entwickeln könnte, lässt sich nur erahnen.

 
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